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Im Gespräch: Prof. Dr. Engelhardt

Es lässt sich aber absehen, dass unsere Wirtschaft natürlich weiterhin eine breit aufgestellte Logistik benötigt – also heißt es, kurzfristig „Durchhalten“ und faire Rahmenbedingungen beibehalten bzw. wiederherstellen.

Prof. Dr. Dirk Engelhardt zur aktuellen Corona-Lage

Gemeinsam mit BGL-Vorstandssprecher und KRAVAG-Aufsichtsrat Prof. Dr. Dirk Engelhardt haben wir über die aktuelle Situation in der Logistik gesprochen sowie einen Blick in die Zukunft der Branche gewagt. Zudem konnten wir interessante Einblicke in die Arbeit und Bedeutung des BGL als Interessensvertretung erlangen und mit ihm über die aktuelle Corona-Lage sprechen.

Lassen Sie uns doch zum Start kurz die Corona-Lage ausblenden – was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten langfristigen Initiativen Ihres Verbandes BGL, die schon vor Corona liefen?

Mit Blick auf die Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrer ist das mit Sicherheit die Kampagne PROFI (Pro Fahrer-Image), in der wir uns mit vielen Partnern für fairen Wettbewerb und gegen den immer weiter zunehmenden Fahrermangel engagieren. Maßnahmen hierzu zielen auf das Image der Logistik und des Straßengüterverkehrs insgesamt sowie des Berufsbildes der Berufskraftfahrer im Speziellen ab. Es geht aber natürlich nicht nur um eine Image-Pflege. Es geht auch ganz konkret darum, die Rahmenbedingungen für das Fahrpersonal ganz deutlich zu verbessern!

Ein weiterer wichtiger Baustein für eine zukunftsfähige Logistik ist sicher das Mobilitätspaket, das auf EU-Ebene bessere Standards für eine faire Logistik schaffen wird. Hier befinden wir uns nach langen Verhandlungen hoffentlich auf der Zielgeraden.

Zusammengefasst ist es unser Ziel, eine moderne Interessenvertretung und ein attraktives Dienstleistungsunternehmen zu sein, das Mehrwerte für seine Mitglieder bietet.

Warum ist es wichtig für Logistiker, sich in einer Gemeinschaft wie einem Branchenverband zu organisieren?

Wir als Verband sehen uns mit unseren Standorten in Berlin und Brüssel als politische Schnittstelle, um einen fairen Wettbewerb in Europa zu schaffen und Benachteiligungen deutscher Unternehmer im europäischen Vergleich zu reduzieren. Dabei stellen wir immer fest, dass es ein unverzichtbarer Bestandteil unserer politischen Arbeit ist, auf allen Ebenen über die spezifischen Problemlagen unserer Branche zu informieren – diese sind der Politik in der Regel nicht gegenwärtig. Wir als seit vielen Jahren etablierter Verband finden das Gehör, das ein einzelnes Unternehmen vergeblich suchen dürfte.

Wichtig ist uns auch die Vernetzung der Unternehmen untereinander, daher bieten wir unseren Mitgliedern verschiedene Plattformen, bspw. mit unserer Mitglieder-Landkarte oder mit unserer Brummi-Card!

Aktuelle Corona-Lage – Welche drei Tipps haben Sie für die vielen Tausend Logistiker im Land?

Die Corona-Lage ist für uns alle fordernd und bedroht sicher auch bei einigen Unternehmen die wirtschaftliche Existenz. Es lässt sich aber absehen, dass unsere Wirtschaft natürlich weiterhin eine breit aufgestellte Logistik benötigt – also heißt es, kurzfristig „Durchhalten“ und faire Rahmenbedingungen beibehalten bzw. wiederherstellen. Konkret können Unternehmen bspw. Dumping und unseriöse Angebote an den BGL melden oder sich an der Initiative Rampenbewertung beteiligen. So kann jeder einen Beitrag gegen den Preisverfall und unhaltbare Zustände für die Berufskraftfahrer leisten! 

Ihre Stimme ist aktuell ja – im Positiven – als die Stimme der Logistik überall präsent. Hand aufs Herz – wie sehen aktuell Ihre Tage aus?

Manchmal ambitioniert – aber ich sehe es sehr positiv, da wir zahlreiche Interviewanfragen erhalten, die es uns ermöglichen, die Bedeutung der Logistik auch für die Allgemeinheit aufzuzeigen und auch nach der Krise weiter in der Öffentlichkeit entsprechend wahrgenommen zu werden.

Was steht in der Corona-Lage ganz oben auf Ihrer Wunschliste an die Politik und die Gemeinschaft der Logistiker?

Bei beiden Punkten: faire Wettbewerbsbedingungen für die Transportunternehmen und bessere Rahmenbedingungen für die Berufskraftfahrer!

Schauen wir doch mal 3-5 Jahre nach vorne – wo verändert sich der Alltag der Logistik am Stärksten?

Vermutlich werden unsere Transportketten – trotz Corona-bedingter Rufe nach Rückverlagerung der Produktion lebenswichtiger Medikamente und anderer sensibler Güter in die EU –  globaler, und damit dürfte die Komplexität der Logistik weiter zunehmen. Gleichzeitig werden Sendungen bei steigender Frequenz kleinteiliger – was Hand in Hand geht mit einer stärkeren Bedeutung der City-Logistik.

Die Straße wird dabei in ihrer führenden Bedeutung für die Logistik weiterhin unangefochten bleiben. Die Anforderungen an unsere Fahrerinnen und Fahrer steigen ebenfalls – denn sie werden zum zentralen Akteur bei der Sicherstellung des Informationsflusses und müssen mit entsprechenden Endgeräten und deren Software sicher umgehen können. Nicht zuletzt deshalb sind und bleiben die Fahrer unverzichtbar, um eine funktionierende Wirtschaft gewährleisten zu können.

Wenn wir nach zwei Trends Fragen dürfen, die in aller Munde sind:
Wo sehen Sie das autonome Fahren in 5 oder 10 Jahren und was wird sich durch den Einfluss der Digitalisierung für Fahrer, Disponenten und Verlader verändern?

Ich sehe das automatisierte bzw. teilautomatisierte Fahren als Baustein unserer Fahrzeuge in 5-10 Jahren. Sie unterstützen unsere Fahrer und machen den Verkehr sicherer –  komplett autonomes Fahren erwarte ich in absehbarerer Zeit aber auf keinen Fall. Die Fahrer sind und bleiben somit unersetzlich.

Der bereits angesprochene digitale Informationsfluss ist für mich mindestens so wichtig wie Zukunftskonzepte im Transport. Individuallösungen sind dabei wenig zukunftsfähig, nur europaweit einheitliche Datenstandards, die eine Verknüpfung zwischen Infrastruktur und Fahrzeug ermöglichen, und offene Lösungen werden langfristig erfolgreich sein.

Die Chancen der Digitalisierung können allerdings nur im Zusammenspiel mit dem Menschen genutzt werden. Lösungsansätze für den Transport müssen daher Fahrer und weitere Fachkräfte heute schon einbeziehen, um einen Versorgungskollaps nachhaltig zu verhindern.

Digitalisierung bietet sicherlich im Straßengüterverkehr viele Chancen, um den Verkehr effizienter und sicherer zu machen. Aber selbst auf mittlere Sicht wird die zunehmende Digitalisierung weder in der Lage sein, das Problem des Fahrermangels zu lösen, noch können wir durch die Digitalisierung den Verkehrskollaps auch nur in Teilbereichen ausschließen. Wichtig ist es hier daher, ansprechende Rahmenbedingungen (u.a. auch adäquate Bezahlung) zu schaffen.

Nach wie vor kommt der (europäischen) Verkehrspolitik sowie einer anforderungsgerechten Infrastrukturpolitik – auch mit Blick auf ein effizientes Zusammenspiel aller Verkehrsträger – eine entscheidende Bedeutung zu. Die Branche kann sich dabei darauf verlassen, dass wir unseren Beitrag leisten werden, hier die Weichen richtig zu stellen.

Herr Prof. Dr. Engelhardt – wir danken Ihnen für diese spannenden Einblicke in die Logistik und Ihren Arbeitsalltag!

Prof. Dr. Dirk Engelhardt, geboren 1973, war seit Januar 2017 Hauptgeschäftsführer, mit Erneuerung der BGL-Satzung im März 2019 wurde er zum Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V. berufen. 

Nach dem Wehrdienst studierte er an der Justus-Liebig-Universität Gießen Agrarwissenschaften, promovierte und habilitierte anschließend nebenberuflich – ebenfalls an der JLU – im Bereich Logistik. Schon während der Schul- und Studienzeit arbeitete er in den Vorgängerorganisationen der späteren Raiffeisen Waren-Zentrale Rhein-Main eG (RWZ) im Lager und war europaweit mit 40 Tonnern unterwegs.

Nach dem Studium stand er der RWZ hauptberuflich zur Verfügung. Zu seinen ersten Aufgaben gehörte die Zentralisierung des Einkaufs aller Mobilien und Logistikaktivitäten, aus der die Gründung des neuen Geschäftsbereichs „Logistik/ Fuhrpark“ folgte, den er von 2003 bis Ende 2016 erfolgreich leitete. Zum Jahresbeginn 2017 übernahm er die Position des Hauptgeschäftsführers des BGL, der als Spitzenverband für Straßengüterverkehr, Logistik und Entsorgung in Deutschland seit 1947 die berufsständischen Interessen von aktuell rund 7.000 in seinen Landesverbänden organisierten Unternehmen vertritt.

Nach mehreren Jahren der Lehrtätigkeiten als Privatdozent, erhielt Dirk Engelhardt im Januar 2009 die Professur für Logistikmanagement an der Steinbeis Hochschule Berlin (SHB). Seither ist er an der SHB und als Gastprofessor an diversen anderen Hochschulen in der Logistiklehre und –forschung  aktiv.

Zum 28.06.2018 wurde Prof. Dr. Dirk Engelhardt auch in den Aufsichtsrat der
KRAVAG-SACH Versicherung des Deutschen Kraftverkehrs VaG gewählt.